Andreas Exner Die rote Hose und der gelbe Rock hängen an der Wand. Ihre Taillenöffnungen, die früher einmal einen weiblichen Körper umgaben, sind mit farbigem Stoff verschlossen, der auf die Farbe des Kleidungsstücks abgestimmt ist. Der Stoff an der Wand erinnert an die Leinwand des Malers, die heraushängenden Fäden an das Tropfen der Farbe. In den 60er Jahren versuchten Maler wie etwa Frank Stella den Bildrahmen zu sprengen, indem sie Bestandteile des Bildes in den Raum hinauswuchern ließen, eine Reaktion auch auf die gestische Malerei, welche die Autonomie der Bildwelt behauptete und damit beanspruchte, innerhalb des Bildrahmens eine von der Wirklichkeit der Lebenswelt ganz unabhängige Kunstwelt zu schaffen. Das Bild, das »aus dem Rahmen fällt«, tritt als Objekt in die Alltagswelt ein, in den Raum, in dem sich der Betrachter befindet. Seit El Lissitzky, der in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts forderte, die Künstler sollten sich vom Tafelbild abwenden und in den Realraum vordringen, die Architektur als höchste Form der Kunst gepriesen hatte, ist das Thema in der Welt. Lucio Fontana etwa hat die Leinwand aufgeschlitzt und so die dunkle Tiefe des realen Raumes in die Bildfläche gezogen (1958). Charlotte Posenenske hat – umgekehrt – die Malerpappe geknickt (1966). Exners Kleidungsstücke beziehen sich einerseits auf eine Tradition der Malerei – darum hängen sie an der Wand. Andererseits handelt es sich um »weiche Skulpturen«. Während Claes Oldenburg harte Gegenstände (Schreibmaschine, Lichtschalter etc.) zu weichen und grotesken Plastiken vergrößerte, beschränkt Exner sich auf die unscheinbare Manipulation der Gewebe, des weichen Materials. Der zarte Eingriff des Verschließens schiebt den Gedanken, es handle sich um ein Kleidungsstück, nicht vollends beiseite. Der Alltagsbezug bleibt präsent: man stellt sich angesichts dieses rockartigen Kunstgebildes eine Frau vor, umso mehr als der »Rock« ein getragener Rock ist, der einer bestimmten Frau gehörte. Die Stofffalten erinnern an einen Körper und dessen Bewegung, doch ganz anders als bei Christian Boltanski, der Kleidungsstücke als düstere Stellvertreter von Toten thematisiert. Bei Exner denkt man an Lebendigkeit, eine Vorstellung, zu der auch die eher kräftigen Farben beitragen. Seine Arbeiten sind also Zwitter, einerseits Malerei, andererseits Skulptur, und behalten einen unübersehbaren Praxisbezug, der in das Kunstverständnis hinein spielt. Andreas Exner (geb. 1962), arbeitet auch sonst hauptsächlich mit Stoffen, die vorhangartig die Wand herabfließen oder von der Decke herabhängen. Ein alter Anspruch der Malerei wird erfüllt: die Farbe ist nicht aufgetragen, sondern verstofflicht, vergegenständlicht, verselbständigt. Es ist die Farbe selber, welche die Skulptur bildet. Burkhard Brunn



  1962 geboren, lebt in Frankfurt/Main
1988 Studium an der Städelschule bei Raimer Jochims und Jörg Immendorff / 1991 Kunstpreis Ökologie / 1993 Kunstpreis des Bundesministers für Bildung u. Wissenschaft / 1994 Fr. Künstlerhilfe Stipendium / 1995 Kunstfonds, Bonn; DAAD Stipendium Florenz / 1998 Hessisches Arbeitsstipendium / 2002 Hess. Kulturstiftung
2003 Horst Schuler, Düsseldorf / 2000 »Monochromes«, University Art Museum, Brisbane / 1999 Konstantin Adamopoulos, Frankfurt/M. / 1998 Horst Schuler, Düsseldorf; Goethe Institut, Rotterdam / 1996 David Pestorius, Brisbane / 1995 »Am Rande der Malerei«, Kunsthalle Bern / 1994 Franz Paludetto, Turin / 1993 »Menschenwelt«, Portikus, Frankfurt/ M.; Hotel Carlton Palace, Paris
Rock, 2003