Sid Gastl (geb. 1955) Suggestiv wirken Sid Gastls Landschaftsbilder durch die ungewöhnliche Perspektive: sie sind in schräger Aufsicht gemalt, d.h. der Blick kommt von oben, erfasst nur kleine, detailarme Ausschnitte, und der Horizont ist abgeschnitten. Die Beschneidung des Himmels, der in der Tradition der Landschaftsmalerei die Weite des Raumes vermittelt, vernichtet die Freiheit des schweifenden Blicks. Der illusionäre Raum ist so in die Bildfläche hoch geklappt: Gastl steht damit in der gegen-illusionären Tradition, die mit Cézanne, Manet und Degas begonnen hat. Einerseits hat man den Eindruck, man fliege sehr niedrig über die Landschaft, andererseits aber, als stehe man vor einer farbigen Leinwand. Gewährt wird nicht mehr ein gelassener, kontemplativer Blick in Muße, den die traditionelle Landschaftsmalerei bietet, sondern gefordert ist ein praktischer, penetranter Blick, der wie observierend feststellt, was da unten ist und zwar auch dort, wo Hecken und Bäume gegen Einblicke in privates Leben schützen sollen. Schuppen, Silos, Pappeln, Gewächshäuser, Telegraphenmasten, Heuschober, Mietshäuser, wie man sie verstreut in der Umgebung der Städte findet, werfen starke Schatten, das unnatürliche Licht scheint von einem Suchscheinwerfer herzurühren. Dem Schatten haftet das Sekundäre, Indirekte, Abhängige an, er gilt als negativ und wird von alters her mit Unheil und Tod verbunden. Die Atmosphäre in Gastls Bildern ist unheimlich und bedrohlich nicht nur, weil dort immer – wie einst bei Aert van der Neer (1606-77) – Nacht oder Dämmerung herrschen, sondern auch darum, weil es scheint, als werde hier jemand verfolgt, der sich versteckt – kein Mensch ist da. Die Stille der kargen, menschenleeren Landschaftsausschnitte erhöht die Dramatik, so dass man wie in einem Film erwartet: gleich wird es geschehen. Die alptraumartige Inhaltlichkeit spielt bei Gastl, den man zu den »neuen Realisten« zählen mag, eine große Rolle, doch in den letzten Bildern tritt sie bis zu detailloser Schemenhaftigkeit zurück. Es handelt sich um Großformate, so berechnet, als könne der Betrachter ins Bild hineingehen – sehr suggestiv also, umso mehr als er sich nachts – wie ein Einbrecher – vor nur ahnbaren Eingängen zu verschlossenen Häusern findet. Auch hier entsteht eine kriminalistische Spannung. Das Unheimliche wird mit geringstem Aufwand erzeugt. Realistisch ist diese Malerei, insofern sie sich mit der nahegelegten Vorstellung von Flucht und Verfolgung, Einbruch und Überfall auf Gewalt bezieht, zweifellos ein wichtiger Aspekt der Welt, deren Bedrohlichkeit offensichtlich ist. Doch wirken die Bilder merkwürdig entrückt – wie erinnert. Die Verfremdung ist nicht etwa eine technische Methode, das detailliert Wahrgenommene nachträglich zu verschleiern, sondern das Ungefähre resultiert aus dem Prozess des Erinnerns – der inneren Wahrnehmung – selber. Gerade das Ungefähre lässt die Bedrohung realistisch erscheinen. Burkhard Brunn



  Geboren 1955 in Nürnberg, lebt in München /
2003 Stiftung Kunstfonds: Arbeitsstipendium / 2001 Förderpreis der Landeshauptstadt München für Bildende Kunst / 1978 – 86 Studium Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg (Meisterschüler)

Ausstellungen (Auswahl)
2003 Galerie Six Friedrich & Lisa Ungar, München (Beteiligung); »Rondo«, Galerie M+R Fricke, Berlin; »StadtLandFluss«, Galerie der Künstler, München (Beteiligung) / 2002 Ankäufe, Brandenburgische Kunstsammlungen Cottbus (Beteiligung); Sommerpalais, Düsseldorf (Beteiligung) / 2001 »Förderpreisvorschläge 2001«, Städtische Galerie Lothringer Straße; Galerie M+R Fricke, Berlin; »Das Flache Land« Zur Ästhetik einer unspektakulären Sichtweise, Brandenburgische Kunstsammlungen Cottbus (Beteiligung) / 2000 Galerie Six Friedrich & Lisa Ungar, München; »Malen … «, Galerie M+R Fricke, Berlin und Düsseldorf (Beteiligung)

Hecke, 2002
Öl auf Nessel, 200 cm x 140 cm
(Courtesy M + R Fricke, Düsseldorf/Berlin)