Sandra Kranich (geb. 1971) ist staatlich anerkannte Pyrotechnikerin und macht Feuerwerk – über den handwerklichen Anspruch hinaus – als Kunst. Als Kunst hat das eruptive Ereignis – diese alte Metapher für den männlichen Orgasmus – Bezüge zu den anderen Künsten. Das aus dem fürstlichen Rokokovergnügen weiter entwickelte Massenspektakel ist farblich wegen seiner Buntheit beliebt. »Bunt« ist – aus der Perspektive der Malerei gesehen – allerdings naiv. Kranichs Bodenfeuerwerk im März dieses Jahres beschränkte sich auf weiß, rot und grün, die sich als Rauch zu schwebenden Mischungen verbinden. Sogar einfarbige Feuerwerke sind denkbar. Andererseits gibt es mehr als 20 verschiedene Goldtöne. Fraglos handelt es sich beim Feuerwerk um eine dekorative Kunst. Doch ist sie als solche selbständig und dekoriert nichts anderes. Seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts schätzen Maler das Dekorative, weil es die Malerei vor der Zumutung bewahrt, etwas auszudrücken, dem eine Bedeutung beigelegt werden kann. Das Dekorative ist dekorativ und sonst nichts. Kranich kommt jedoch eher von der Zeichnung her. Ihr Traum wäre ein schwarzes Feuerwerk bei hellem Himmel. Sie interessiert die Dynamik der Linie. Die Schüsse zeichnen sich im Dunkel als gleißende Linien ab, die sich am Himmel sekundenlang kreuzen und eine Struktur bilden, die klare, vom Zufall unabhängige Formen annehmen kann, wenn die neuen Präzisionsbomben (»magic fire«) verwendet werden, deren Explosionshöhe und Explosionszeit genau kalkulierbar sind. Kranich will stereometrische Figuren schießen. Insofern die Raketen raumbildende Linien ziehen und explodieren, hat das Feuerwerk einen Bezug zur Skulptur. Das Krachen und Heulen bringt es in die Nähe der modernen Musik – im weitesten Sinne, denkt man an Musiker, die mit Geräuschen arbeiten. Krachen und Blitzen erinnern an Gewitter, ein Schauspiel, das erschreckend und schön zugleich ist. Die gängige Wortverbindung »schrecklich schön« fasst diesen Eindruck zusammen. Doch sind die Geräusche eher ein atmosphärisches Accessoir. Den entscheidenden Bezug hat das Feuerwerk zur Performance. Ebenso wie jedes Schauspiel ist es einmalig, d.h. identisch nicht wiederholbar. Die Nichtreproduzierbarkeit des Feuerwerks sichert ihm jene »Aura«, welche die anderen Künste nach Walter Benjamins berühmter Feststellung durch ihre Reproduzierbarkeit verloren haben. Das Feuerwerk ist ein Ensemble intensivster Augenblicke, das nach kürzester Zeit verlischt und buchstäblich in der Nacht verschwindet. Seine Flüchtigkeit und die langen und aufwendigen Vorbereitungen – für bloße Augenblicke – machen das Spektakel kostbar. Es bleibt nur die Erinnerung – und zur Dokumentation ein Video. Man müsse, sagte die Künstlerin in einem Interview, das Feuerwerk sehen lernen. Sie selber könne inzwischen in Zeitlupe sehen. (Sandra Kranich ist die einzige Künstlerin auf diesem Terrain.) Burkhard Brunn



  1971 geb. in Ludwigsburg, lebt in Frankfurt am Main / 1995 – 98 Studium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach a. M. (bei Prof. Manfred Stumpf und Prof. Heiner Blum) / 1998 – 01 Studium an der Städelschule Frankfurt a. M. (bei Prof. Thomas Bayrle) mit Abschluss Meisterschülerin / seit 2003 staatlich anerkannte Pyrotechnikerin für Großfeuerwerk
Ausstellungen (Auswahl)
2003 »Bodenfeuerwerk«, Burgdorf, Schweiz; »Bodenfeuerwerk«, Duchcov, Tschechien; Hessischer Rundfunk, Frankfurt/M.; »Bodenfeuerwerk« / 2002 »Through and Through«, rraum 02, Frankfurt/M. / 2001–02 »Through«, Protoacademy, Edinburgh Schottland / 2001 »Silicon Woodcuts«, Forum der Frankfurter Sparkasse 1822 / 2000 »Bodenfeuerwerk«, Museum für Angewandte Kunst Frankfurt / 1999/2000 »Bodenfeuerwerk«, Historisches Museum Frankfurt / 1999 »Save the day«, Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main

Bodenfeuerwerk
Hessischer Rundfunk,
Frankfurt/M.
13.03.2003