Seit 1989 schreibt Axel Malik (geb. 1953) Tagebücher. Jeden Tag hinterlässt seine Feder auf dem Papier Reihen kleiner, gegeneinander abgesetzter Schreibspuren, die der Künstler »Zeichen« nennt. Jedes »Zeichen« ist der Beleg eines Ereignisses von großer Intensität. Obwohl sie keine Bedeutungsträger im linguistischen Sinne sind, können die Linien doch im Nachvollzug »gelesen« werden. Als Spuren der Schreibbewegung bedeuten die Zeichen allerdings nichts als eben die reine Schreibbewegung selber. Sie bedeuten nichts außerhalb ihrer selbst. So kann man in Anlehnung an den Ausdruck »Abstrakte Malerei« von abstrakten, selbstbezüglichen Schriftbildern sprechen, wenngleich Malik nicht mit Farben arbeitet. Das Terrain des Künstlers ist das Niemandsland zwischen Schrift und Bild. So gibt es einerseits Bücher und Schriftrollen, andererseits Bildformate, die in ihrer überzogenen Breite oder Länge an Schriftfahnen erinnern. Und betrachtet man ein solches »Bild«, wechselt der Eindruck zwischen Schrift und Bild mit der Entfernung: von fern als Ganzes betrachtet, hat das schwebende, immaterielle Gespinst der Schreibspuren einen Bildcharakter, um beim Nähertreten das Aussehen einer horizontalen Schrift anzunehmen – einer abstrakten Schrift. Grob gesehen, steht Malik zum einen in der Tradition einer bestimmten asiatischen Kalligraphie (Yu-Ischi 1916 –1985) und zum andern in der Tradition der »écriture automatique«, jener Methode, mit der Henri Michaux (1899 –1984) und André Masson (1896 – 1987) unter Ausschaltung des Willens vorbewusste Inhalte zu Tage förderten. Wenn auch Maliks Schreibimpulse einer vorbewussten Quelle entstammen, so findet doch der Akt des Schreibens bei voller Geistesgegenwart statt und außerdem – und anders als das »automatische Schreiben« – nach Regeln: die Zeichen sind wie Druckbuchstaben gegeneinander abgegrenzt, von etwa gleichem Typ und Größe, stehen in Zeilen und füllen ein vorgegebenes Format aus. Oberflächlich erinnert seine Arbeit an die unendlichen Zahlenreihen von Roman Opalka oder an die Schreibarbeiten von Hanne Darboven, beides Verarbeitungsweisen von Zeit, eine Dimension, die auch bei Maliks Tagebüchern eine Rolle spielt. Die Energiequelle der Schreibbewegung liegt wohl tiefer als bei der gestischen Malerei des »Informel«, sie scheint eher allgemein biologisch als individuell psychisch zu sein, insofern eher objektiv als subjektiv. Die Videoarbeit zeigt den Akt dieses Schreibens, das Schlittern, Tänzeln, Stolpern, Dahinrasen und das gespannte Abwarten der Feder, die wie ein Falke über dem Papier schwebt. Die rein akustische Arbeit »schreibenhören« gibt einen Eindruck von der Raserei des Schreibaktes, von der orgiastischen Entladung der Energie während des Arbeitsprozesses, die den Künstler völlig erschöpft. Burkhard Brunn



  1953 geboren in Jugenheim
lebt in Oberried bei Freiburg

Ausstellungen (Auswahl)
2003 Dombibliothek Hildesheim / 2000 Museum Schloss
Wilhelmsburg / 1999 Kunstverein Neckar-Odenwald; Museum Für Moderne Kunst, Mittelhof / 1998 Kunstforum Neumarkt/Egna (Italien); Forum im Dominikanerkloster, Frankfurt/M. / 1997 Kunstverein Kirchzarten; San Gregorio Art Gallery, Venedig / 1996 Städtische Galerie Aulendorf / 1994 Städtische Galerie Schwarzes Kloster, Freiburg
Buch 7,»Seite 6219«, 1994
29,5 x 20,5 cm